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Jahrestagung 2016


 

Methodisches Design und erste Felderfahrung der IAB-BAMF-SOEP-Flüchtlingsstudie

Tagung der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute (ASI e.V.)
zugleich Adhoc-Gruppe im Rahmen des Kongresses für Soziologie der DGS in Bamberg,
28. September 2016

Jürgen Schupp
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Deutschland

 

Der seit Mitte 2015 zu beobachtende Flüchtlingszustrom stellt derzeit nicht nur die Politik, Verwaltung und die Bevölkerung vor enorme Herausforderungen. Auch die empirische Sozialforschung mit ihren amtlichen wie wissenschaftsgetragenen statistischen Forschungsdaten ist gefordert, eine verbesserte empirische Datengrundlage zu schaffen. Dies betrifft vor allem auch die Verbesserung der für Sekundäranalysen zugänglichen Forschungsdateninfrastruktur über Geflüchteter.

Die am DIW Berlin angesiedelte Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) hat auch bereits in der Vergangenheit solche Herausforderungen aufgrund von Migration nach Deutschland mit speziellen Zuwanderungssamples angenommen. Aufbauend auf den jüngsten Erfahrungen im Jahr 2013 und 2015, als das SOEP in Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) begonnen hat, eine Erhebung bei Neuzuwanderern durchzuführen (IAB-SOEP-Migrationsstichproben), wurde Ende letzten Jahres erneut eine Kooperation zwischen dem IAB und dem SOEP am DIW Berlin sowie zusätzlich dem Forschungszentrum beim Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (FZ-BAMF) eingegangen.

Im Jahr 2016 wird nunmehr im Anschluss an eine qualitative Vorstudie gemeinsam von den drei Instituten eine große zufallsbasierte Stichprobe von in Deutschland registrierten Flüchtlingen auf Grundlage des Ausländerzentralregisters gezogen werden, die zudem als Längsschnittuntersuchung angelegt sein soll. In der IAB-BAMF-SOEP-Flüchtlingsstichprobe werden knapp 2.000 erwachsene Geflüchtete im zweiten Halbjahr 2016 erstmals befragt werden. Mit der Durchführung der Erhebung wurde TNS Infratest Sozialforschung, München, beauftragt. Die Studie wird etliche Überlappungen mit der seit nunmehr 30 Jahre laufenden Leibniz-Langzeitstudie SOEP haben. Ende 2016 soll ein erster Bericht der Studie erstellt werden und im Jahr 2017 sollen die anonymisierten Daten der gesamten nationalen wie internationalen scientific community für Forschungszwecke im nutzerfreundlichen Format bereitgestellt werden. Der Beitrag liefert einen Überblick zum methodischen wie inhaltlichen Design der Studie und stellt erste Felderfahrungen der Pilotphase der Studie zur Diskussion.

 

Methodische Herausforderungen bei der qualitativen Befragung von Flüchtlingen und Migranten in Deutschland

Ulrike Mangold, Astrid Kunert
QMR - Qualitative Mind Research, Deutschland

Die die im Rahmen des Vortrages vorgestellte Studie wurde im Sommer 2015 initiiert. Die Anzahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge überstieg damals alle erwarteten Dimensionen und somit standen nicht nur in der öffentlichen Meinung, sondern auch im wissenschaftlichen Kontext drei zentrale Fragestellungen im Raum:

  • Wer sind diese Menschen, die nach Deutschland kommen?
  • Welche Lebens- und Arbeitserfahrung bringen sie mit?
  • Und wie können die Weichen frühzeitig gestellt werden, damit Integration gelingt?

In Kooperation begegneten das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB Nürnberg), das Sozioökonomischen Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) in Zusammenarbeit mit QMR - Qualitative Mind Research (München) dem großen Erkenntnisinteresse mit einer "lernenden Studie". Der Fokus war auf die Geflüchteten selbst gerichtet, um erste Antworten zu den dringlichsten inhaltlichen aber auch forschungsmethodischen Fragen liefern zu liefern.

Zwischen November 2015 und März 2016 wurden insgesamt 123 Flüchtlinge und Migranten aus 13 Nationen befragt, die im Zeitraum 2013 bis 2015 nach Deutschland eingewandert sind. Die in Deutschland Schutzsuchenden hatten hierbei oft zum ersten Mal Gelegenheit, mit Hilfe eines Dolmetschers in einem geschützten Raum über sich, ihre Biografien, ihre Betroffenheit von Krieg, Verfolgung und Gewalt zu berichten, ihre Erlebnisse und Erfahrungen auf der Flucht zu schildern und darüber zu sprechen, wie sich ihre Situation in Deutschland gestaltet und wie sie diese für sich interpretieren.

Bei der vorgestellten Untersuchung handelt es sich um eine Grundlagenstudie mit dem Ziel, erste Einblicke in verschiedene, mit Flüchtlingserfahrungen assoziierte Themengebiete zu erlangen und auch die Erforschbarkeit dieser Themen zu eruieren.

Der Vortrag greift folgende forschungsrelevante Themen der beschriebenen Studie auf:

Implikationen zu Methodik und Durchführung wie

  • Stichprobe
  • Rekrutierung
  • Interview Setting
  • Einsatz von Dolmetschern
  • Incentivierung
  • Befragbarkeit bestimmter Themen
  • Reflexion der Studienmethodik

 

Flüchtlinge schriftlich befragen? Methodische Herausforderungen und Erfahrungen aus der BAMF-Flüchtlingsstudie 2014

Susanne Worbs, Axel Böhm
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland

Momentan gibt es in Deutschland ein großes Interesse an Erkenntnissen über die Sozialstruktur und die Lebenslage von Flüchtlingen, aber (noch) relativ wenige Erfahrungen mit empirisch-quantitativen Untersuchungen dieser Zielgruppe. Das Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat im Sommer 2014 erstmals eine groß angelegte, gezielt auf Flüchtlinge ausgerichtete Befragung durchgeführt. Untersucht wurden dabei Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge aus sechs in Deutschland relevanten Asylherkunftsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Sri Lanka und Syrien). Die Studie erfolgte auf schriftlichem Wege mittels eines zugesandten Fragebogens; die Adressen der Zielpersonen wurden über das Ausländerzentralregister (AZR) und lokale Ausländerbehörden ermittelt.

Der Vortrag soll zunächst das Untersuchungsdesign im Detail vorstellen und die damit verbundenen methodischen (u.a. bei der Fragebogenkonstruktion), aber auch ethischen Fragen (Befragung durch die "Asylbehörde") erörtern. Weiterhin werden praktische Erfahrungen bei der Untersuchungsdurchführung dargestellt. Aufgrund der insgesamt hohen Teilnahmebereitschaft der angeschriebenen Personen und eines entsprechenden Rücklaufs können schließlich auch Daten und Berechnungen zu spezifischen methodischen Aspekten präsentiert werden. Dies betrifft z.B. die Frage, inwiefern Analphabeten und gering gebildete Menschen erreicht werden konnten. Auch die Nutzung verschiedener Sprachversionen des Fragebogens (angeboten wurden neben Deutsch jeweils zwei in dem jeweiligen Herkunftsland geläufige Sprachen) und der Zusammenhang dieses Merkmals mit verschiedenen der erhobenen Integrationsindikatoren wird thematisiert. Abschließend werden die Resultate mit Blick auf die künftige Forschungspraxis zusammengefasst und bewertet.

 

Wege in Deutschland – Eine Analyse integrationsfördernder und -hemmender Faktoren bei Flüchtlingen

Elisabeth Hahn, Martin Obschonka, Nida ul Habib Bajwa
Universität des Saarlandes, Deutschland

Im Jahr 2015 ereignete sich eine enorme Flüchtlingswelle, welche unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen stellt, die neben der Versorgung, insbesondere die Integration der Schutzsuchenden in die hiesige Gesellschaft betreffen. Bisher herrscht jedoch Unklarheit darüber, welche Faktoren einen erfolgreichen und langfristigen Integrationsprozess bedingen. Im Fokus des großangelegten Projekts "Wege in Deutschland" steht daher die Identifikation integrationsfördernder und -hemmender psychosozialer Einflussfaktoren besonders in den Bereichen der sog. nicht-kognitiven Faktoren (z.B. Motivation, Kontrollüberzeugungen) sowie persönlichkeitsrelevanten Aspekten (z.B. Selbstregulation, Zukunftsvorstellungen). Ein weiterer Kernbereich bezieht sich auf Gründungsmotivationen und -perspektiven. Eine erfolgreiche Integration wird im Rahmen des Projekts insbesondere im Sinne einer schulischen oder beruflichen Perspektive bzw. Laufbahn verstanden. Für die vorliegende Studie werden daher Asylberechtigte bzw. Flüchtlinge zwischen 17 und 45 Jahren innerhalb eines Zeitfensters von ca. 4 Monaten nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland erstmalig befragt. Im vorliegenden Beitrag soll die aktuelle Stichprobe vor dem Hintergrund vergangener und zukünftiger Herausforderungen bei der Realisierung einer möglichst selektionsfreien Akquise von Teilnehmern vorgestellt werden. Erste deskriptive Befunde sowie der weitere Verlauf der Studie werden dargestellt und diskutiert.

 

Methodische Herausforderungen der qualitativen und quantitativen Datenerhebung bei Geflüchteten

Susanne Lochner, Dominik Huber, Sonja Haug
Ostbayerische Technische Hochschule OTH Regensburg, Deutschland

Mit der Zunahme an Geflüchteten in Deutschland geht ein erhöhtes Bedürfnis nach empirischen Daten zu den angekommenen Menschen einher. Eine valide Datengrundlage ist Voraussetzung für ein besseres Verständnis über Beweggründe, soziostrukturelle Voraussetzungen und Einstellungen der Geflüchteten und kann dazu beitragen, eine Integration in die Aufnahmegesellschaft an die Bedürfnisse und Kompetenzen der Flüchtlinge anzupassen. Des Weiteren können nach wissenschaftlichen Kriterien erhobene Daten zu einem Abbau von gesellschaftlichen Vorurteilen führen.

Sozialforscher stehen vor der Herausforderung, Instrumente zu entwickeln, um empirische Daten unter erschwerten Bedingungen in Flüchtlingsunterkünften zu erheben. Aufgrund der aktuellen, teils unklaren Datenlage über Asylsuchende in Deutschland gibt es keine Auswahlgrundlage für eine bundesweite Zufallsstichprobe. Traumatische Erfahrungen in der Heimat und auf der Fluchtroute, beengte Unterbringung in Unterkünften sowie unsichere Zukunftsaussichten erfordern einen sensiblen Umgang mit den Befragten. Des Weiteren lässt sich eine relativ hohe Zahl an Analphabeten, eine große sprachliche Vielfalt und unterschiedliche Wertvorstellungen unter den Geflüchteten vermuten, was innovative Strategien erfordert, um valide Daten zu erheben. Der Vortrag basiert auf Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt "Flüchtlinge in Bayern", einer Pilotstudie, die von der Hanns-Seidel Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Die Studie hat zum Ziel, in Bayern lebende Flüchtlinge in Bezug auf Erfahrungen, Einstellungen und Bleibeabsichten zu beschreiben und zu charakterisieren. Eine standardisierte Befragung erhebt Werteorientierung, Religiosität und Bleibeabsichten von bis zu 750 Asylsuchenden in Nürnberg und dem Münchner Umland. In persönlich-mündlichen Interviews werden zudem 12 exemplarische Biographien erhoben. Die Rekrutierung der Teilnehmer basiert auf einem Gatekeeper-Ansatz, der Verwaltungsmitarbeiter und Flüchtlinge selbst in die Datenerhebung mit einbezieht. Dies soll dazu beitragen, Vertrauen zu schaffen und sprachliche Einschränkungen zu minimieren. Im Rahmen des Vortrags sollen Erfahrungen aus der Datenerhebung in Flüchtlingsunterkünften diskutiert werden. Der präsentierte methodische Ansatz kann für zukünftige Studien über Flüchtlinge als Hilfestellung dienen, methodische Herausforderungen der Datenerhebung zu beurteilen.